BARTOLOMEO CRISTOFORI - ERFINDER DER KLAVIERMECHANIK

Ein Bildnis Cristoforis

1700 wird oft als Datum der Erfindung des Hammerflügels angegeben, da in diesem Jahr ein Inventar der Instrumentensammlung des Herzogs verfaßt wurde, in dem ein "Arpicmbalo di Bartolomeo Cristofori, di nuova inventione, che fa il piano e il forte" beschrieben wurde. Daher haben wir auch die Bezeichnung, die sich später eingebürgert hat: "piano...forte".

Bartolomeo Cristofori wurde am 4. Mai 1655 in Padova bei Venedig geboren. Venedig war im 16. Jahrhundert das wichtigste Zentrum des Instrumentenbaus in Italien. Aus der Stadt Padova sind bekannte Tasteninstrumentenbauer wie Francesco Ongaro ("der Ungar") hervorgegangen, von dem sich ein Cembalo im Deutschen Museum befindet. Über Cristoforis Lehrjahre wissen wir wenig; seine Biographie fängt mit fast 33 Jahren an, als er als neuer Instrumentenbauer von Prinz Ferdinando de' Medici in Florenz im Mai 1688 eingestellt wurde. Die Vermutung ist berechtigt, daß Cristofori bereits vorher an seiner Erfindung der Pianomechanik gearbeitet hat und dem Herzog ein funktionierendes Instrument vorweisen konnte. Details eines Spinetts, das er 1690 fertiggestellt hat, zeigen, daß er bereits zu diesem Zeitpunkt den typischen Steg seines Hammerflügels entwickelt hatte.

Fast einmalig in der Geschichte des Instrumentenbaus ist ein Treffen, das im Winter 1709/1710 zwischen Cristofori und dem Marchese Scipione Maffei stattfand. In seinem "Giornale de' letterati d'Italia" hielt Maffei für uns fest, was Cristofori ihm über die neue Erfindung erzählte und erklärte. Dazu wurde eine Zeichnung gedruckt, die die neue Mechanik darstellte.

Maffeis Zeichnung der Cristofori-Mechanik aus seiner Publikation von 1719

Eine spätere Version der Zeichnung von 1719 (hier links) wurde in einer deutschen Veröffentlichung von Johann Ulrich König übernommen und nachgezeichnet (in Johann Mattheson, Critica Musica 1725 erschienen) und dürfte einer der Wege der Verbreitung von Cristoforis Erfindung gewesen sein.

Von einer Schenkung des Herzogs Ferdinando an Cardinal Ottoboni in Rom ist bei Maffei die Rede; andere Instrumente wurden verkauft. Der König João V. von Portugal hat Instrumente von Cristofori erworben, darunter mindestens einen Hammerflügel, aber vermutlich auch ein Cembalo, denn die späteren portugiesischen Cembali weisen Cristofori-Eigenschaften auf. Bekanntlich haben die portugiesischen Instrumentenbauer die Cristofori-Hammerflügel nachgebaut und damit die florentinische Tradition auf der iberischen Halbinsel fortgesetzt.

Man kann nicht behaupten, daß die Erfindung der Piano-Mechanik sich wie ein Lauffeuer in Europa verbreitet hat. Die Instrumente waren vermutlich sehr teuer und nicht jeder hat sich von der Möglichkeit überzeugen lassen, abwechselnd laut und leiser spielen zu können. Offenbar haben nach Auskunft Maffeis viele Anhänger des Cembalos den vergleichsweise dumpfen Klang des Hammerflügels nicht geschätzt. Sänger dagegen waren anscheinend unter den ersten, die das neue Instrument verwendet haben, und "Farinelli" (Carlo Broschi), der berühmte Castrato, war einer davon. Er begleitete sich selbst am Cristofori-Hammerflügel.

Maria Barbara, Prinzessin von Portugal und spätere Königin von Spanien, war offenbar auch eine Befürworterin dieses Instruments, denn nach ihrem Tode wurden fünf Hammerflügel in einem Inventar erwähnt, wovon nachweislich vier aus Florenz stammten, d.h. aus Cristoforis Werkstatt oder nach seinem Tode von Giovanni Ferrini, der die Werkstatt weiter leitete. Cristofori-Hammerflügel müssen Deutschland erreicht haben, denn die Mechanik, die Gottfried Silbermann in seinen erhaltenen Hammerflügeln einsetzte, wurde offenbar direkt von einer Cristofori- (oder Ferrini-) Mechanik übernommen. Abgesehen vom diesem Beispiel hat der deutsche Hammerflügelbau andere Mechaniken verwendet, was sich leicht durch die Komplexität von Cristoforis Mechanik erklären läßt.

Persönliche Details zu Cristoforis Leben wurden nicht festgehalten. Welche charakterlichen Eigenschaften ihn prägten, wissen wir nicht. Wenn wir aber sein Lebenswerk betrachten, dann sehen wir einen großen Entdeckergeist, jemanden, der sein Ziel hartnäckig verfolgt und immer bessere Lösungen gesucht hat. Auch im Bereich des Cembalobaus hat er neue Formen aus dem etablierten Cembalo entwickelt, wie etwa Doppelspinette und Spinette mit 4'-Registern. Auch ein einmaliges Clavichord mit einem orgelähnlichen Wellenenbrett wurde in seiner Werkstatt entwickelt. In einem Kodizil zu seinem Testament erfahren wir, daß er vor seinem Tod eine Krankheit durchzustehen und daß er immer vorgehabt hatte, nach Padova zurückzukehren. Tatsache ist aber, daß er in Florenz geblieben ist, wo er am 27.Januar 1731 starb. Damit war ein Leben der Erfindung und Fertigung von Musikinstrumenten erfüllt und beendet. Cristofori hinterließ ein großes Erbe mit dem Pianoforte, das unser heutiges Musizieren immer noch prägt.

DIE HAMMERFLÜGEL CRISTOFORIS

Der 1720 Cristofori Hammerflügel: Webfoto von Metropolitan Museum of Art, New York

Obwohl Cristofori Hammerflügel nachweislich bereits um 1700 gebaut hat, ist das älteste erhaltene Instrument aus dem Jahr 1720, als er bereits 65 Jahre alt war. Es steht heute im Metropolitan Museum of Art, New York (siehe Museum, Webfoto links). Was aber fast nur Fachleuten bekannt ist, ist, daß der Resonanzboden bei einer Restaurierung 1938 ersetzt wurde. Schon im 18. Jahrhundert wurde der ursprüngliche Umfang von FF,GG,AA-c³ (d.h. FF# und GG# fehlen) auf den jetzigen C-f³ umgebaut und etwa 30 cm vom Gehäuse im Baß abgeschnitten. Da die ursprüngliche Belederung der Hammerköpfe nicht mehr vorhanden ist, kann man sagen, daß die klanglichen Eigenschaften des ursprünglichen Zustands unwiederbringlich verloren gegangen sind. Dennoch ist dieses Instrument das am besten bekannte und wurde gelegentlich für Konzerte und Aufnahmen verwendet, so daß unsere Klangvorstellung des ersten Hammerflügels teilweise von falschen Prämissen ausgeht.

Ein weiterer Hammerflügel aus dem Jahr 1722 wird in der Collezione degli Strumenti Musicali, Rom aufbewahrt, und obwohl viel von der originalen Substanz vorhanden ist, ist das Instrument so weit vom Holzwurm befallen, daß man es nicht riskiert, das Gehäuse unter Saitenspannung zu halten. Dennoch ist das Exemplar ein wichtiges Dokument und zeigt im Zusammenhang mit den anderen beiden Hammerflügeln, an welchen Teilen der Erfindung Cristofori um diese Zeit noch gearbeitet hat.

Der letzte erhaltene Hammerflügel ist aus dem Jahr 1726, hat den kleineren Umfang von C-c³ wie beim 1722er Instrument und befindet sich jetzt im Musikinstrumenten-Museum der Universität Leipzig. Der Erhaltungszustand ist weitgehend original (wobei jedoch das ursprüngliche Hammerleder nicht vorhanden ist), so daß wir aus diesem Instrument viel über Cristoforis Vorhaben lernen können. Dennoch wird dieser Hammerflügel aus konservatorischen Gründen nicht unter Spannung gehalten und steht also auch nicht als funtionierendes Musikinstrument zur Verfügung.

Cristoforis Instrumente von 1722, 1726 und ein weiteres Kombinationsinstrument, ein Cembalo-Hammerflügel vom Cristofori-Schüler Giovanni Ferrini aus dem Jahr 1746 (Sammlung Tagliavini, Bologna), zeigen, daß die Piano-Mechanik bereits voll entwickelt war. Praktische Erfahrung mit Nachbauten von Rainer Thiemann, David Sutherland, Kerstin Schwarz und Denzil Wraight haben gezeigt, daß bei sorgfältiger Fertigung die Mechanik zuverlässig funtioniert. Wir können uns damit das Urteil erlauben, daß Cristoforis Erfindung völlig praktikabel war. Interessant ist zu bemerken, daß es die Cristofori-Stoßmechanik war, die später übernommen und in die moderne Pianoforte-Mechanik integriert wurde, nicht die um 1800 populäre Wiener Mechanik.


WIE KLINGT EIN CRISTOFORI-HAMMERFLÜGEL?
EINE REKONSTRUKTION VON DENZIL WRAIGHT IM KONZERT

Wie klang nun eigentlich der Hammerflügel von Cristofori? Diese Frage ist nicht mehr allein aus den vorhandenen Instrumenten zu beantworten, denn wichtige Teile sind verloren gegangen. Wir wissen nicht genau, wie die Hammerköpfe intoniert waren, und Hinweise auf die Besaitungsstärken fehlen bis jetzt. Das war der Ausgangspunkt für meine Rekonstruktion eines der Hammerfügel mit 56 Tasten, der im Besitz von Maria Barbara in Spanien war. Alle diese Instrumente haben die Zeit nicht überlebt, aber die vorhandenen Hammerflügel von Cristofori und Ferrini enthalten genügend Informationen, um eine Mechanik genau nachzubauen und bieten Einblick in die Werkstattpraxis, woraus wir die Baugröße des Gehäuses rekonstruieren können.

Die Besaitungsstärke eines Hammerflügels ist einer der Faktoren, die bestimmen, wie man das Instrument spielen kann: Sind die Saiten dünn, wird man nur leicht und leise spielen können. Aus meinen Forschungen über die Besaitung italienischer Cembali ist hervorgegangen, daß Cristofori ein ganz bestimmtes Numerierungssystem für die Besaitung jedes seiner Cembali verwendete. Genau dieses Besaitungssystem wurde in einem portugiesischen Hammerflügel wiedergefunden (1767 Antunes, National Museum of Music, Vermillion, SD, USA), der offenbar nach einem Cristofori-Instrument gebaut wurde. Interessanterweise deuten Saitenstärken aus dem 1749er Silbermann-Hammerflügel (Silbermann hat sich bei Cristoforis Erfindung bedient) auf ähnliche Ergebnisse. Damit wurde ein Hinweis gegeben, welche Saitenstärken bei Cristofori (wenigstens bei den späten Instrumenten) anzubringen wären.

Durch praktische Erfahrung mit seiner Hammermechanik erkennt man, daß er bemüht war, eher einen runden Klang zu erzeugen als einen spitzen oder metallischen. Nicht nur die Verwendung der für Cristofori typischen Hammerköpfe aus Papierringen (siehe Foto der Rekonstruktion), sondern auch die sorgfältige Dimensionierung der Kopfgröße - sie werden größer zum Baß hin - zeigt, daß der brilliante, metallische Klang nicht gesucht wurde.

Der Fänger hält den Hammerkopf fest Auch die Überlieferung Maffeis weist eindeutig in diese Richtung, denn die Cembalisten fanden den Ton zu weich und dunkel (im Originaltext "troppo molle e ottusa"). Es gibt auch andere Faktoren aus der Cembalobautradition Cristoforis, die den Klang in diese dunkle, farbige Richtung lenken und nicht zu einem hellen, silbrigen führen. Cristofori, wie seine Kollegen aus Venedig, verwendete ausschließlich Zypressenholz für den Resonanzboden, ein Holz, das dem Klang einen klaren, kernigen Charakter gibt und nicht einen eher brillianten, wie man es von einem Fichtenholz-Resonanzboden erwarten kann. Außerdem hat er Messingsaiten verwendet, wie in seinem Cembalobau, die auch einen farbigen Klang hervorrufen. Wenn also jemand denkt, ein Cristofori-Hammerflügel von 1730 klinge in etwa wie eine schwächere Version eines Wiener Flügels um 1780, so wird er überrascht sein. Welchen Eindruck diese Rekonstruktion macht, können Sie im Konzert von Ella Sevskaya am 4. April 2004 um 18.00 Uhr im Musiksaal des Deutschen Museums erfahren.

Denzil Wraight 2004
www.denzilwraight.com


ELLA SEVSKAYA

Ella Sevskaya wurde 1961 in der Ukraine geboren. Erstes Klavierstudium bei Elena Kamenkovich. Im Alter von 13 Jahren debütierte sie mit dem Klavierkonzert Nr. 1 von Schostakovitch. Weiter studierte sie bei Regina Horowitz in Kharkov (Ukraine) und bei Nathan Perelman an der Hochschule in St. Petersburg.

Ihr Interesse für Alte Musik führte sie dazu, sich mit Continuospiel zu befassen; so wirkte sie bei verschiedenen Ensembles in St. Petersburg (Musika Practica, Ars Consoni, New Holland) mit. 1994 zog sie nach München, um Cembalo, Hammerklavier und historische Orgel vertiefend zu studieren. Hier war sie weiterhin sowohl als Solistin (Cembalo, Lautenklavier, Klavier) wie auch als Continuospielerin tätig. In den letzten Jahren hat sie sich vorwiegend auf das Gebiet des Hammerklaviers und Cembalos spezialisiert. Neben Konzerten in Deutschland, Italien, Irland, Schottland, England, Frankreich und den USA forscht sie über die Aufführungspraxis der Klassik und unterrichtet Hammerklavier und Cembalo beim Internationalen Sommerkurs in Cortona, Italien. Sie trat bei internationalen Symposien über historische Tasteninstrumente in Michaelstein, Florenz und bei der BBC (Early Music Show) auf und hielt in der Royal Academy of Music in London eine Master Class. Als Cembalistin spielt sie im Rosenheimer Kammerorchester und im Byrd Consort und unterrichtet auch an der Musikschule Rosenheim. Vor kurzem ist eine CD mit Werken von Dussek, Beethoven und Ries auf einem Hammerklavier beim englischen Label Quilisma erschienen.


DENZIL WRAIGHT

Denzil Wraight am Stimmen des Hammerflügels beim ersten Konzert im Musée de la Musique, Paris (Foto freundlicherweise von Martin Gester)

Denzil Wraight wurde 1951 in Rochester, Großbritannien geboren und ist seit über 20 Jahren in der BRD wohnhaft. Er studierte Philosophie an der Queen's University of Belfast und erwarb praktische Kenntnisse des Cembalobaus bei Thomas Wess in Liverpool. Durch ein mehrjähriges Studium des italienischen Instrumentenbaus hat er neue Grundlagen für dessen Kenntnis gelegt. Sein Promotion behandelte das Thema der Besaitung und Stimmung der italienischen Tasteninstrumente. Ein Teil der Dissertation war ein Katalog von 748 Instrumenten. In verschiedenen Zeitschriften und Lexika hat er über sein Spezialgebiet publiziert. Seine Arbeit als Instrumentenbauer umfaßt hauptsächlich italienische Kielinstrumente, aber auch ein Walter-Hammerflügel und eine Kammerorgel nach Lorenzo da Pavia (1494) gehören zu seinem Opus.